Gesellschaftsfarben – Farbigkeits-Differenzen im geteilten Deutschland

Im Projekt wird die markante Differenz der deutsch-deutschen "Gesellschaftsfarben" zwischen 1960 und 1980 untersucht. Dies geschieht am Beispiel der Farbprogrammatiken von Jugend- und Protestgruppen – einerseits im deutsch-deutschen Vergleich von opponierenden Sozialgruppen und andererseits in Gegenspiegelung zu mehrheitlich etablierten Farbsymboliken gesellschaftlicher Lebenswelten in den deutschen Teilstaaten.

Im Westen soll dabei der soziale Farbgebrauch gesellschaftlicher und kultureller Innovations- und Protestgruppen am Beispiel von Hippies, "Grünen" sowie Gruppen der Alternativkultur (und "Gegengesellschaft") analysiert werden. Im Osten sollen spezifische Subkulturen und kulturell-künstlerische Nebenszenen im ausgewählten Zeitraster untersucht werden, die von der (von westlicher Hippiekultur beeinflussten) "Blueser"-Szene über die Folk- und "Singebewegung" bis hin zu den Stil-Bricolagen einer sich in der Honecker-Zeit etablierenden Alternativkultur reichen.

Die abweichenden Farbprogramme sollen zudem mit den Farbkonzepten der offizialkulturellen Norm- und Majoritätsgesellschaft kontrastiert werden, wie sie in Politik, Wirtschaft und Lebenswelt in DDR und BRD durch Farbigkeit bzw. Farblosigkeit zur Geltung gelangten und wie sie in den durch Werbung, Mode und Uniformierung herausgestellten Farbkonzepten ablesbar werden.

[A] Evelyn Richter: Vor Mattheuers „Die Ausgezeichnete“, 1975

[B] Martin Schmidt: Traktoristin der LPG Semlow, 1966, Abb. aus Katalog: DHM, Farbe für die Republik, Berlin 2014, S. 145

Farbenlehre in der "Grauzone DDR"

Was waren die Farben der DDR? Gab es überhaupt Farbe in einer Gesellschaft, deren Akteure und Beobachter sich darauf geeinigt zu haben scheinen, dass das Land in dem sie gelebt und dass sie analysiert, vor allem als eine graue Zone zu beschreiben wäre. "Grauzone morgens" hieß etwa der 1988 bei Suhrkamp erscheinende Gedichtband von dem aus Dresden stammenden Dichter Durs Grünbein. Kann man die DDR nicht mit einigem Recht als eine Gesellschaft verstehen, die durch einen rigorosen Verzicht auf symbolische Farbenspiele zu kennzeichnen wäre, egal ob dieser aus den Nöten des Mangels oder aus einer intentionalen Farbaskese heraus entstand? Und warum hat man sich nach 1989 so schnell und unwidersprochen darauf einigen können, dass es vor allem die elaborierten Schwarz-Weiß-Fotografien aus Künstlerhand sind, die einen realistischen und alltagsnahen Blick auf das versunkene Land zu geben vermögen?

Es herrscht im intellektuellen Diskurs über die kultursymbolische Gestalt des "Arbeiter-und-Bauern-Staates" weitgehend Einigkeit darüber, dass die Schwarz-Weiß-Fotografien vor allen anderen Medien in der Lage sind, uns ein Bild zu geben von dem allmähliche Verblassen der Utopie, dass sich in fast zu schöner Kongruenz auch in einem Verblassen der offiziellen DDR-Gesellschaftsfarben studieren lässt, die im Teilprojekt ebenfalls untersucht werden. Es sind also keinesfalls nur die inszenierten Farbbilder aus DDR-Illustrierten oder Belegstücke aus dem Bildrepertoire des propagandistischen Programmteils des "Sozialistischen Realismus", die uns heute Auskunft geben können über Lebens- und Farbwirklichkeiten in der DDR.

Jener farbprogrammatischen Gegensatzspannung von Offizialkultur und Neben- bzw. Gegenkulturen entsprach die Mentalitätsdifferenz zwischen dem sich im programmatischen Farbgebrauch offenbarenden "Prinzip Einverständnis" und dem "Prinzip der Verweigerung". Es ist oft beobachtet worden, dass die habituelle Erscheinungswelt der künstlerischen Intelligenz in der DDR weitgehend durch eine charakteristische Melancholie bestimmt blieb, an die sich etwa der Leipziger Maler Neo Rauch wie folgt erinnert: "Ich denke, dass während der DDR-Zeit tatsächlich so eine zarte Bitternis in alles reinspielte, auch in das Schöne. [...] Allerdings wäre es fatal, wenn man vergessen würde, dass es in der DDR neben dieser Tristesse auch eine wild aufschäumende Vitalität gab. Unter den repressiven Rahmenbedingungen brodelte das Leben." Erklärbar ist die Wiedereinwanderung der Melancholie in ein Staatsareal des Melancholieverbots mit dem paradoxen Zustand einer als zur "real existierenden" Utopie verklärten Gesellschaft. Die sich im Laufe der DDR-Geschichte stetig weiter öffnende Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit des kommunistischen Projektes produzierte Gründe und Stoffe für jene melancholische Selbstbezüglichkeit. Der Literaturhistoriker Wolfgang Emmerich hat diese einmal als "die seelische Verfassung des unbehausten, enttäuschten, heillosen, vom Scheitern gezeichneten Menschen" bezeichnet. Zugleich hat er dabei für die Prägung der kritischen Kulturintelligenz in der DDR insgesamt einen "Furor melancholicus" diagnostiziert. Geografisch ein überschaubares Terrain ("Hegels Schmalland" wie der Dichter Durs Grünbein spottete), historisch für manche gar nur eine "Fußnote" des Kalten Krieges, erscheint die DDR aus kulturanalytischer Perspektive als ein komplexes und eben auch farbig codiertes Gebilde.

Deren innere Vielgestalt beruhte vornehmlich darauf, dass sich der totalitäre Herrschaftsanspruch der SED nicht total durchsetzen ließ und in der Lebenswirklichkeit der langen Diktatur in Deutschland sich bald schon ein Spalt öffnete zwischen ihren umfassenden Machtpostulaten und den im Verlauf der DDR-Geschichte immer begrenzteren Möglichkeiten der Umsetzung dieser Allmachtsdoktrin. Im "Gehäuse" der staatssozialistischen Gesellschaft entstanden andere Räume; erst in Kellern, Souterrains oder abseitigen Lagen, später auch in Salons und Sälen, bevor das ganze Haus mitsamt seiner Beletage zur kommunistischen Bastion nicht mehr taugte, auch weil die SED-Führung bis zum Ende eine Generalsanierung des Gebäudes entschieden abwehrte.

Trotz seiner (die feindliche Außenwelt von der misstrauisch observierten Innenwelt abschließenden) charakteristischen Hermetik – gleichermaßen produziert durch Betonmauern, simulierte Landkarten und den Entzug des Menschenrechts auf Freizügigkeit – entstanden in der DDR ab Mitte der 1960er Jahre private Fluchträume und "Notgemeinschaften" sowie mit Beginn der Honecker-Ära informelle Aktionsorte und offensiv ausgerichtete Gegenszenen. Diese Orte und Formen einer gesellschaftlichen Verweigerung drückten sich kultursymbolisch auch in einer Differenzhaltung gegenüber den Herrschaftsfarben der DDR aus. Jener sich in opponierenden Farbordnungen symbolisierender Konflikt trug in erheblichem Maße dazu bei, dass der totale Herrschaftsanspruch einer Diktatur allmählich so weit untergraben wurde, dass jenes Sprachbild von der DDR-"Nischengesellschaft" (Günter Gaus) zu einem symbolräumlichen Topos westlicher Interpretation werden konnte.

[C] Thomas Billhardt: Die Reserve der Partei, 1979

[D] Manfred Beier: Der Kudamm bei Nacht, 1954, Abb. aus Katalog: Alltag in der DDR: So haben wir gelebt, Köln 2012, S. 271

[E] Werner Petzold: Friedliche Nutzung der Atomkraft, 1972-74, Wismut GmbH Chemnitz, Foto: DIK/Andreas Kämper

[F] Sven Marquardt: Ohne Titel, 1987

Schwarz – Leitfarbe abweichender Stilinszenierungen

Im exemplarischen Zugriff auf die Farbe Schwarz, insbesondere auf ihre Träger-, Symbol- und Wirkungsgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert, wird verfolgt, wie sich sozialer Gebrauch und symbolischer Ausdruckswert in Abhängigkeit gesellschaftlicher Prozesse verändert. Im Vordergrund der Forschung stehen dabei die Untersuchung der Etablierung und Globalisierung von Schwarz als dominanter Habitusfarbe von intellektuellen, künstlerischen und politischen Stilinszenierungen. Das Spektrum der untersuchten Phänomene reicht dabei von der Profilierung von Schwarz als Zentralfarbe im Stilrepertoire der vom Existentialismus geprägten kulturellen Aufbrüche in den 1950er Jahren bis hin zu den Varianzen dieser Symbolfarbe in den Stilmustern und Präsentationsmedien der Rockmusik von den 1960er Jahren bis heute.

Zugleich wird die Etablierungsdynamik von Schwarz auch in Bezug auf technische Innovationen im Bereich der Farb- und Farbträgerentwicklung sowie im Kontrast mit kulturellen (Farb-)Events – etwa den seit 2012 in Deutschland organisierten Holi-Festen – und Dominanzen von Buntheit als postmoderner Erscheinungsform pluralisierter Farbigkeit untersucht werden. Dies soll auch im Hinblick auf den Umgang mit neuartigen Präsenzformen des Farbeinsatzes geschehen, wie diese sich durch die Entwicklungen von Farbfilm und Farbfernsehen, moderner Drucktechnik bis hin zu den jüngsten Innovationsschritten der IT-Industrie mit der Generierung neuer Bildgebungsverfahren und Farbwirklichkeiten eingestellt haben.